Was aus dem Land wird, weiß der Landwirt – Teil 2 von 4
Der Klimawandel ist real, die Globalisierungskritik ebenfalls – und zwischen all den Hypes um biologisch, regional oder vegan müssen jene Unternehmungen überleben, die unsere Kühlschränke füllen. Vorhang auf für vier besonders findige Lebensmittelproduzenten aus der Oststeiermark, die mit ungewöhnlichen Konzepten auf große Fragen der (Ernährungs-)Zeit reagieren.
Tropenhaus zu Mortantsch
Mortantsch, unweit von Weiz. Etwas mehr als 2.200 Einwohner leben in der Gemeinde, die auf 550 Meter Seehöhe liegt. Und zur See sind auch wir unterwegs. Quasi. Denn hinter einem kleinen Zufahrtsweg befindet sich nur auf den ersten Blick eine Tischlerei. Das Holz ist nur in Form von selbst gebauten Anlagen mit Holzverkleidungen geblieben. Zwischen dem Holzboden steht die Luft hier, in dieser großen Halle. Es riecht ein bisschen nach Tropenhaus im Zoo und natürlich – nach Fisch. Denn ja, wir sind eben zur See gefahren. Quasi. Tore auf für Michis Zuchtbecken.
»Ich war schon immer passionierter Fischer«, erzählt der Michi, der Michael Wesonig heißt, und gerade den Doraden Futter zuwirft. »Doch durch den Fischotter gibt es ja kaum heimische Fische mehr, also habe ich begonnen, Fische zu züchten.« Noch immer hat er im Mürzer Oberland, wo er einst begann, Bio-Gebirgssaiblinge. Aber hier in Mortantsch, unweit seines Lebensmittelpunkts, hat er auch alte Hallen zu Indoor-Urban-Fish-Farming umgebaut. Alles in Eigenregie, ist er doch eigentlich Diplomingenieur mit Spezialgebiet Holztechnik.
»Meeresfische« – ja, mit Anführungszeichen – nennt er das, was in den Becken um uns herum gezüchtet wird. Steirischer Branzino (Wolfsbarsch) zum Beispiel, aber auch Doraden, Lachs und Garnelen. Möglich machen das eine dauerhafte Wasserzirkulation und stetes Filtern – und ein Mix aus Mineralien, in dem sich die Meeresbewohner auch in der Oststeiermark wohlfühlen. 550 Meter über dem Meeresspiegel, um das noch einmal zu betonen. Gibt es so etwas oft weltweit? »Nein, eigentlich noch nicht, weil es viel einfacher ist, Netzgehege ins Meer zu hängen, da muss man sich um nichts mehr kümmern. Wenn wir uns einen Tag nicht kümmern, ist es vorbei.« Damit es seinen Fischen und Garnelen gut geht, schaut Michi tatsächlich jeden Tag nach dem Rechten. »Schauts, wie sie im Kreis schwimmen«, sagt er, und zeigt auf die Doraden, die erst zu Weihnachten verkauft werden können. »Daran sieht man, dass sie sich wohlfühlen.« Während seine Familie gerade auf Urlaub ist, hält er die Stellung, Urlaub hatte er schon lange keinen mehr.
Der »Meeresfisch« der Zukunft
Man merkt Michi seine Leidenschaft für seine Profession bei jedem Arbeitsschritt an. Wie geht‘s ihm dann damit, die Fische rauszufischen und zu verkaufen? »Für mich ist es das Schlimmste, ich kümmere mich jeden Tag um sie und dann sind sie weg«, sagt er durchaus wehmütig. Er selbst ist eigentlich Vegetarier, schon seit Jahren, aber selten esse er noch seine eigenen Fische. Immer kann er im Übrigen nicht liefern. Das sei so ein Ziel für die Zukunft, dass er das ganze Jahr hindurch Produkte anbieten könne. Apropos Zukunft. Er ist sich sicher, dass irgendwann so wie bei ihm in Mortantsch, überall »Meeresfische« gezüchtet werden. »Es wird noch viele gute Entwicklungen geben und wir werden zu 100 Prozent unabhängig vom Meer werden. Und das ist nicht zuletzt für das Klima gut.«
Text adaptiert von “Was aus dem Land wird, weiß der Landwirt” (Fazit #177, November 2021) von Peter K. Wagner