Agrarlandesrat Hans Seitinger sieht die steirischen Bauern durch Corona, den Klimawandel, aber auch durch Billigimporte vor großen Herausforderungen. Er will mit weiterer Regionalisierung, einer größeren bäuerlichen Wertschöpfungstiefe und Konsumentenbildung neue Perspektiven schaffen. Unser Schwestermagazin FAZIT führte mit ihm das folgende Interview.

[Foto: Streibl/LandSteiermark]

Wie sehr wirkt sich die Corona-Pandemie auf die steirischen Bauern aus?

Die Pandemie trifft die Landwirtschaft völlig unterschirdlich. Viele Direktvermarkter und auch manche Weinbauern, die ihre Produkte online, ab Hof, oder auf Bauernmärkten verkaufen, konnten sich in den letzten Monaten gut entwickeln. Aber jene Betriebe, die große Märkte oder die Gastronomie beliefern, leiden teilweise sehr stark.

Welche Bauern sind damit gemeint?

Damit sind etwa die Milch- oder Fleischproduzenten, aber auch Getreide-, Gemüse- und manche Obstbauern gemeint. Wir können ja nicht alle 1,2 Millionen Steirer über die Direktvermarktung versorgen. Die Gastronomie fehlt als Abnehmer an allen Ecken und Enden. Und es fehlen uns natürlich auch die Touristen, von denen bisher viele auch wegen der kulinarischen Genüsse in die Steiermark kamen. Zusätzlich verschlimmert sich die Situation durch den Ausbruch der Schweinepest in Deutschland und Dänemark. Diese Länder dürfen jetzt kein Schweinefleisch nach China liefern und fluten daher die gesamte EU mit ihrem Billigstfleisch. Ja, sie „entsorgen“ bei uns ihr Überangebot und niemand fragt nach den dortigen Produktionsbedingungen. Im Frühjahr bekamen die Bauern noch etwa zwei Euro je Kilogramm für die Mastschweine, jetzt sind es nur noch 1,20.

Aber das Regionalitätsthema ist doch enorm stark. Und auch die meisten Supermarktketten legen inzwischen großen Wert auf regionale Produkte. Müsste sich damit nicht auch die Marktmacht – weg vom Handel hin zum Bauern – verlagern?

Da tut sich natürlich etwas. Aber wirklich stark werden die Bauern erst, wenn sie auch vermehrt direkt zum Konsumenten kommen. Und das ist derzeit noch nicht der Fall. Daher legen wir großen Wert auf alternative Vermarktungsformen wie die Direktvermarktung oder den Onlinehandel. Da ist zuletzt in Bezug auf die Frischelogistik vieles möglich geworden, was früher nicht ging. Wir sehen das etwa bei der Post, die mit großem Einsatz an innovativen Logistik-Lösungen arbeitet.

Und was kann die Politik diesbezüglich für die Bauern beitragen?

Unsere Aufgabe ist es, diese innovativen Lösungen zu ermöglichen – sei es legistisch, finanziell oder organisatorisch. Wir arbeiten in der Steiermark etwa an einem großen Vermarktungszentrum, das den Bauern die Möglichkeit gibt, entweder direkt zum Konsumenten oder zu Großabnehmern zu liefern. Heute ist es für unsere Gemüsebauern einfach nicht möglich, eine Großküche zu beliefern, die etwa 5.000 Kilo geschnittenen Salat als küchenfertiges Convenience-Erzeugnis braucht. Das kann kein Gemüsebauer bewerkstelligen. Daher bauen wir gerade eine solche Struktur auf. Damit steigen die bäuerliche Wertschöpfungstiefe und auch das Einkommen.

Wie konkret ist dieses Vermarktungszentrum?

Die Pläne sind bereits sehr konkret und ich bin zuversichtlich, dass wir bald mit der Umsetzung beginnen können. Wir werden dort vorerst zwar keine verzehrfertigen Convenience-Produkte herstellen und verkaufen, aber das bäuerliche Grundprodukt in eine höhere Veredelungsstufe bringen. Mit dem Vermarktungszentrum ist es aber noch lange nicht getan. Wir brauchen landesweit viel mehr Bauernmärkte. Und wir müssen die Bauern dabei unterstützen, Mitarbeiter zu finden, die ihnen dort zur Hand gehen. Einen Stand auf einem Bauernmarkt zu haben, heißt ja nicht einfach nur dort zu stehen und etwas zu verkaufen. Wir brauchen daher eine neue Wertigkeit für unsere heimischen Lebensmittel. Der Konsument sollte – mit unserer Unterstützung – lernen, in einem bäuerlichen Erzeugnis die Arbeit vom Samen bis zum konsumfertigen Produkt zu erkennen. Bis in die 1980er-Jahre war es völlig normal, dass wir 30 bis 35 Prozent unseres Haushaltseinkommen für Lebensmittel ausgegeben haben. Heute sind es nicht mal 10 Prozent. In der Vorstellung mancher Konsumenten ist aber selbst das noch zu viel. Das hat dazu geführt, dass ein Drittel der Lebensmittel im Müll landet. Das ist eine echte Schande!

Von bäuerlichen Betriebsgrößen, die man vor zehn Jahren hatte, kann man heute nicht mehr leben. Gibt es ein Konzept, das einen Weg zurück ermöglichen würde?

Natürlich muss man sich die Frage stellen, was falsch läuft im System. Die landwirtschaftlichen Preise stehen unter massivem Druck durch Billigimporte. In Brasilien wird der Regenwald abgeholzt, um Soja und Fleisch für Europa zu produzieren. Unsere Bauern versuchen mit großem Einsatz, nachhaltig zu wirtschaften. Immer mehr Menschen schätzen das, indem sie regionale Lebensmittel bevorzugen. In Wahrheit sind viele bäuerliche Erzeugerpreise aber seit 20 Jahren nicht gestiegen. Fragen Sie einmal einen Arbeitnehmer, ob er vom Lohn, den er vor 20 Jahren erhalten hat, heute noch leben könnte. Bei den Bauern fragt dahingehend niemand. Daher können sie nur über steigende Effizienz überleben. Und die hat irgendwann ein Ende. Der Weg zurück in die Vergangenheit ist nicht mehr möglich.

Überleben können nur jene, die sich der Formel „Wachse oder weiche“ verschrieben haben?

Wir brauchen mehr Effizienz und gleichzeitig höhere Preise. Zumindest jene, die trotz dieser Bedingungen weitermachen, erhalten durch die Pachtflächen eine bessere Perspektive. Ihnen stehen dadurch Betriebsgrößen zur Verfügung, mit denen sich auch größere Investitionen besser amortisieren. Mit der Bevölkerung muss auch die Lebensmittelproduktion mitwachsen. Daher sind nachhaltige Effizienzsteigerungen an sich nichts Negatives. Wir sind im Vergleich immer noch bei den kleinsten.

Und wie wollen Sie höhere Preise erreichen?

Ich kann mich nur wiederholen: Indem wir den Mehrwert der Regionalität, der Frische, der Transparenz und der Versorgungssicherheit für die Konsumenten herausarbeiten und das Bewusstsein dafür schärfen. Auch die Gastronomie hat ein Interesse, mit guten Produkten zu arbeiten, denn immer mehr Restaurants und Gasthäuser werben ja auch mit Regionalität. Dort erzählen die Wirte und Köche ihren Gästen, woher ihr Fleisch und ihr Gemüse kommen. Natürlich fordern wir auch für die Gastronomie eine bessere Herkunftskennzeichnung der verwendeten Lebensmittel.

Sind Sie eigentlich mit der Performance des AMA-Gütesiegels zufrieden?

Das AMA-Siegel ist ein hochwertiges Gütesiegel, das etwa beim Fleisch nur verwendet werden darf, wenn das drinnen ist, was draufsteht. Wenn das Tier hier geboren, gemästet und geschlachtet worden ist. Ähnliches gilt auch für die Herkunft von Obst, Eiern oder Gemüse. Auf das AMA-Siegel kann sich der Konsument zu 100 Prozent verlassen. Darauf können alle anderen Regionalisierungs- und Nachhaltigkeitsinitiativen aufbauen. Wer sich als Produzent oder Veredelungsbetrieb einen Verstoß gegen die AMA-Richtlinien leistet, wird nicht weit kommen.

Wie sehr gefährdet der Klimawandel die heimische Landwirtschaft?

Die Bauern spüren den Klimawandelt hautnah. So kann wegen eines außergewöhnlichen Wetterereignisses innerhalb von zehn Minuten ein ganzer Jahreslohn vernichtet werden. Hagel, Sturm, aber auch Trockenheit sind zu echten Bedrohungen geworden. Dort, wo wir uns schützen können, müssen wir das tun – etwa in dem wir trockenheitsresistentere Sorten züchten. Außerdem müssen wir den Humusaufbau unterstützen. Dadurch können die Böden mehr CO2 binden und darüber hinaus ein Vielfaches an Wasser speichern und auch in der Forstwirtschaft haben wir große Fortschritte gemacht. So können wir den Forstwirten mithilfe der dynamischen Waldtypisierung mittlerweile für jeden Standort punktgenau empfehlen, welche Baumart dort die beste Zukunft hat. Unsere Aufgabe ist es, die Land- und Forstwirtschaft klimafit zu machen – durch mehr Humus und resistentere Züchtungen.

Landwirtschaft und Tourismus brauchen einander. Trotzdem ist in letzter Zeit viel passiert. So hat etwa das Kuh-Urteil für Riesenärger gesorgt. Wie kann man da die Gemüter beruhigen?

Immer mehr Bauern leben vom Tourismus. Urlaub am Bauernhof bietet vielen bäuerlichen Familien ein weiteres wirtschaftliches Standbein. Landwirtschaft und Tourismus ergänzen einander. Und das wissen sowohl die Bauern als auch die Touristiker. Die natürliche Symbiose aus Tourismus und Landwirtschaft ist für beide Seiten lebenswichtig; für nachhaltig wirtschaftende Bauern, die durch den Tourismus eine wesentlich bessere wirtschaftliche Perspektive erhalten. Aber auch für die Tourismusbetriebe, deren wichtigste Kundenversprechen eine intakte bäuerlich bewirtschaftete Landschaft und die Vorzüge der Steiermark als kulinarische Schatzkammer sind.

Sie sehen also eine optimistische Zukunft?

Die steirische Landwirtschaft hat trotz der großen Herausforderungen gute Perspektiven. Und wenn wir alle die Bauern bei den ständig anstehenden Veränderungen unterstützen, werden wir das gemeinsam schaffen. Zum Mehrwert für uns alle, besonders im Sinne unserer Lebensqualität.

Herr Landesrat. Danke für das Gespräch.