Bernd Pischetsrieder zählt zu den weltweit wichtigsten Automobilmanagern. Der gebürtige Bayer war Vorstandschef von BMW und Volkswagen. Jetzt krönt er seine Karriere mit dem Aufsichtsratsvorsitz der Daimler AG. Der Auto-Boss mit dem großem Herz für die Steiermark besitzt seit knapp 20 Jahren ein prachtvolles Anwesen in der Südsteiermark und stand dort für ein Gespräch zur Verfügung.
Als Chef von BMW und Volkswagen hatten Sie auf allen Kontinenten zu tun, doch die Welt war Ihnen nicht genug. Wie ist Ihnen die Steiermark passiert, wann haben Sie die Liebe zum Land entdeckt?
Also irgendwie hat das ja schon etwas mit Auto zu tun. Wir haben mit der Familie immer viele Oldtimerfahrten gemacht. Und nachdem mein Schwager in Voitsberg geboren ist, hat er einmal empfohlen, diese Fahrten in die Steiermark zu verlegen. Und das haben wir dann auch gemacht. Zuerst einmal nach Kapfenstein und dann haben wir festgestellt, dass es weiter südlich auch sehr schön ist. Und so sind wir an die steirische Weinstraße gekommen. Anfangs waren wir noch in Hotels, aber eines schönen Tages haben wir ein tolles Platzerl gefunden und uns angesiedelt.
Wofür muss man die Menschen in der Steiermark mögen?
Die Reihenfolge ist jetzt fast beliebig. Zum einen sind gerade die Weinbauern hier Unternehmer, also Menschen, die etwas unternehmen wollen. Und zum anderen ist hier einfach ein sehr viel freundlicherer Menschenschlag beheimatet, als ich ihn in Bayern kennengelernt habe. Für Nichtbayern sind Bayern ausgenommen unfreundlich. Wenn man Bayer ist, weiß man aber, dass die Unfreundlichkeit nicht so gemeint ist. Aber in der Steiermark sind die Leute sehr herzlich und sehr offen.
Wann werden Sie sich zum ersten Mal von einem autonom fahrenden Automobil vom Chiemsee in die Südsteiermark bringen lassen?
Also wenn Sie mich persönlich fragen, ist die Antwort nie. Die Prognose, wann das möglich ist – also vollautonom was wir Automobilisten Level 5 nennen – wird, fürchte ich für die ganze Strecke, keiner von uns noch aktiv erleben können. Ich glaube auch nicht, dass dies das eigentliche Ziel sein muss. Natürlich, ein Techniker strebt immer nach Perfektion. Und dass die Idee angenehm wäre, dass man sich zu Hause ans Steuer setzt und dann Akten oder Romane liest, hat schon was. Aber ich glaube, die technischen Schwierigkeiten, vor allem was die Beherrschung des Risikos betrifft, sind noch so groß, dass das noch ziemlich lange dauern wird. Persönlich bin ich nicht scharf drauf, ich fahre lieber selbst mit dem Auto.
Sie verbringen seit fast 20 Jahren einen Großteil Ihrer Freizeit in der Steiermark und haben durchaus ein Gefühl für das Land entwickelt. Wie ist Ihr Blick auf die Steiermark, wie würden Sie das Land jemandem erklären, der noch nie da war?
Also als Bayer liegt es natürlich nahe, dass man diesen bayrischen Spruch, den unser Ministerpräsident einmal geprägt hat, nämlich „Laptop und Lederhosen“, auch auf die Steiermark überträgt. Denn das Bodenständige, historisch gesehen große landwirtschaftliche Kulturen und Technologie und Hightech, gehen hier einher. Das ist hier genauso eingebettet in eine wunderschöne Landschaft. Ich weiß schon, die Steirer lieben nicht, wenn man sagt, das ist die österreichische Toskana, aber das ist so der Eindruck, den man hat, wenn man aus dem bayrischen Alpenvorland kommt. Wenn man gutes Essen, guten Wein, nette Leute und eine insgesamt sehr angenehme Atmosphäre mit einer tollen Gastronomie – von einfacher Buschenschank bis hin zur Spitzen-Cuisine – mag, dann ist man in der Steiermark gut aufgehoben.
Wenn die Steiermark ein Auto wäre, was wäre denn da drinnen?
Eine Flasche Wein. Nein, im Ernst. Also wenn die Steiermark ein Auto wäre – der Vergleich fällt mir ehrlich gesagt ziemlich schwer – weil, was soll ein Auto haben? Man soll sich wohlfühlen im Auto, und das tut man in der Steiermark auch. Das Wohlfühlgefühl, das ist glaube ich das Wichtigste.
Die Steiermark ist eine Lieblingsdestination deutscher Urlauber. Wirtschaftlich ist die Steiermark eng mit Deutschland verbunden, Stichwort Automobil. Der Konzern, dem Sie als oberster Aufseher vorstehen, zählt zu den wichtigsten Kunden des steirischen Autoclusters. Der Mercedes G, gebaut bei Magna in Graz, ist eine einzige Erfolgsstory. Was können die Grazer besser als andere?
Also meine Lebenserfahrung sagt mir, Menschen tun und können das am besten, was sie mit Emotion tun und können. Und das ist glaube ich auch die Erklärung dafür, warum der G und ganz viele seiner Vorgängermodelle, die ja zum Teil auch für den militärischen Bereich waren – z. B. Haflinger usw., so erfolgreich waren und sind. Die Emotion ist da. Ein Mensch, der Automobile entwickelt, der macht das zwar am Computer, aber es gehört so wie in jedem anderen Beruf auch die Emotion dazu. Die Weinbauern hier machen auch keinen guten Wein, wenn sie keine Emotion haben. Emotion ist das Entscheidende. Und was ich kennengelernt habe, in vielen Jahren der Zusammenarbeit gerade mit dem Unternehmen, das heute den G herstellt: Das sind einfach Menschen, die haben – manchmal sagt man, die haben Benzin im Blut – ich glaube eher, die haben das Kletterauto-Gen im Blut…
Welche Chancen tun sich für Zulieferer in der derzeit stattfindenden Transformation innerhalb der Autobranche auf?
Es gibt ja einen wirklich starken Technologie-Cluster, der historisch gesehen natürlich sehr eng mit dem Verbrennungsmotor verbunden ist. Nur, die Emotion, was Neues machen zu wollen, die technologischen Fähigkeiten mit einer hervorragenden Technischen Universität in Graz ist die Voraussetzung dafür, dass man den technologischen Wandel auch beherrschen kann. Es gibt ja auch außerhalb der Automobilindustrie Bereiche und auch Unternehmer, die was völlig Neues gewagt haben. Wenn ich z. B. an KTM denke, ist es ja nicht selbstverständlich, was hier entstanden ist. Das war einmal ein Spezialist für Geländemotorräder, heute ist er einer der führenden Motorradhersteller, und nicht nur das. Ich glaube, die Innovationsfähigkeit, die hat abgesehen vom Wissen und dem entsprechenden emotionalen Umfeld auch die Begeisterung als Voraussetzung. Und wenn die da ist, dann werden es die Unternehmer in der Steiermark möglicherweise besser schaffen als irgendwelche anonym geführte Konzerne, die ihr Headquarter irgendwo haben.
Kommen wir zum Wein. Auf Ihrem Anwesen bewirtschaften Sie eine 1,2 Hektar große Parzelle in der Lage Hochgrassnitzberg. Das Weinmachen überlassen Sie allerdings ihrem Freund, dem Top-Winzer Willi Sattler. Dennoch darf man davon ausgehen, dass der Sauvignon Blanc Grassnitzburg auch ihre Handschrift trägt. Wie würden Sie Ihren Beitrag bezeichnen?
Also auf bayrisch würde ich sagen, ich red‘ halt g‘scheid daher. Das heißt, es ist ja kein Zufall, dass ich den Willi, mit dessen Familie ich schon sehr lange befreundet bin, gebeten habe, den Weinberg im Jahr 2004 neu anzulegen und zu bewirtschaften. Weil ich halt diese Stilistik von ihm und seinen Söhnen sehr schätze. Es ist immer ein persönlicher Geschmack, was man innerhalb einer Rebsorte oder einer Geschmacksrichtung dann bevorzugt. Auch andere Mütter haben schöne Töchter und andere Weinmacher haben hervorragende Weine. Mir gefällt die Stilistik. Was ich mache, ist, dass ich – angefangen beim Most bis zum dann abzufüllenden oder dann auch noch für ein Jahr in einem Holzfass reifenden Wein – g‘scheid daher red. (lacht).
Welche steirischen Weinbauern machen derzeit alles richtig?
Also in meinem Leben habe ich immer gesagt, wenn einer glaubt, er macht alles richtig, dann macht er alles falsch. Weil er nämlich das nicht glauben darf. Es gibt natürlich eine relativ prominente Gruppe von hervorragenden Weinbauern in der Steiermark, die, was den Sauvignon Blanc betrifft, sicher zur Weltspitze gehören. Einzelne Namen will ich jetzt hier nicht nennen, die machen alle einen guten Wein, mit unterschiedlicher Stilistik. Ich kann mich erinnern, ich bin mit dem Manfred Tement und dem Willi Sattler einmal zusammengesessen und hab gesagt, wie kann denn das sein: Eure Weinberge liegen nur ein paar Kilometer weit auseinander und euer Wein ist so ganz anders. Dann hat der Willi gesagt, wir sollten mal versuchen, dass ich dem Manfred meine Trauben geb‘ und umgekehrt. Schauen, was dann dabei herauskommt, da bin ich interessiert. Ich warte bis heute drauf, dass sie das einmal machen. Es gibt ja diese Bodenkarten hier, da kann man sehen, nachdem das ja einmal ein Urmeer war, dass die Bodengliederung so fein ist, dass in ein paar hundert Meter Entfernung der Wein schon wieder eine andere Mineralität hat.
Die Südsteiermark entwickelte sich vom Geheimtipp zu einem Hotspot, die Corona-Pandemie hat der Region einen wahren Boom beschert, der unverändert anhält. Wie sehen Sie die Entwicklung, was verträgt die Region, was tut ihr gut?
Also zu viel Massentourismus tut der Region überhaupt nicht gut. Und zu viel Massenproduktion beim Wein tut ihr auch nicht gut. Die Landschaft ist geprägt davon, dass hier viele relativ kleine Winzer auf einer auch sehr kleinteiligen Landschaft in relativ schwierig zu bewirtschaftenden Weinbergen ohne große Unterkunftsmöglichkeiten bestehen. Nichts gegen große Hotelkonzerne, aber hierher gehören die nicht. Alles, was davon drastisch wegginge, würde auf lange Sicht gesehen wahrscheinlich das Grüne Herz etwas bluten lassen.
Der steirische Wein macht weltweit Karriere. Als profunder Kenner der Wein-Welt möchten wir Sie gerne um Ihr Urteil bitten: Wo stehen die besten steirischen Weine international tatsächlich, gibt es noch Luft nach oben?
Wer glaubt, etwas erreicht zu haben, hört auf, etwas zu werden. Es gibt immer Luft nach oben. Was den Sauvignon Blanc betrifft, sind die steirischen Weine mit Sicherheit an der Weltspitze. Was Chardonnay, Morillion betrifft, weiß natürlich jeder, dass Burgund der Maßstab ist. Die grundsätzliche Richtung des steirischen Weines muss Individualität sein, und zwar für alle Rebsorten. Unverwechselbarkeit. Diese Welt-Einheitsweine gibt es genug, die haben mit der Steiermark auch vor allem deswegen nichts zu tun, weil natürlich die Produktionskosten in diesem Gelände viel höher sind als im flachen Land.
Und welcher Tropfen ist nun der Mercedes unter den steirischen Weinen?
Das ist sehr schwierig, denn es gibt ja auch unterschiedliche Mercedes. Da müssen Sie jetzt schon sagen, welchen Mercedes Sie jetzt meinen. Erst dann kann ich Ihnen sagen, welcher Wein dazu passt. Aber im Ernst: Ich glaube, der Vergleich ist deshalb nicht ganz richtig, weil ja jeder Winzer hier das Ziel hat, als Winzer – nicht als Wein – sowas zu sein wie ein Mercedes. Nicht unbedingt ein Rolls Royce, aber eben ein Produkt, das Menschen gerne haben, das erstrebenswert ist. Vielleicht auch für den einen oder anderen auch ein wenig ein Luxus ist, aber halt nicht die Massenware. Und ich glaube, das ist das Ziel, dass auch jeder Winzer hier in der Steiermark haben muss, weil eben hier die Voraussetzungen so sind, wie sie sind. Es ist hier keine Voraussetzung gegeben für einen Großbetrieb. Es sei denn, es handelt sich um ein Weinhaus, das Trauben zusammenkauft, aber das passt auch nicht in die Steiermark.
Das Interview wurde im Rahmen der Aktion „Botschafter mit Herz“ vom „Steiermark Standortmarketing“ zur Verfügung gestellt. Die redaktionelle Verantwortung liegt bei Steiermag.
Wordrap:
Ihr Lebensmotto? Zum einen, leben und leben lassen. Das Leben ist endlich, man hat viel zu tun und man hat auch viel zu genießen.
Ihr größter Fehler? Dass ich zu wenig Zeit habe, aber das ist nicht mein Fehler, sondern der von anderen.
Wer hätten Sie gerne sein mögen? Wilhelm Kempff, weil das ist mein Lieblingspianist.
Irdisches Glück? Hier zu sitzen und kein Interview zu geben (lacht).
Welche Gabe möchten Sie haben? Ich würde gerne Klavier spielen können, aber das kann ich nicht.
Wie definieren sie Erfolg? Erfolg ist eigentlich – persönlich betrachtet – persönlich zufrieden zu sein. Andere Menschen beurteilen das anders, aber das ist eigentlich nicht das Urteil, das ich für mich habe.
Was schätzen Sie an Freunden am meisten? Offenheit und Verlässlichkeit.
Ihr Lieblingsessen? Kalbsbackerl in einer Burgunder-Sauce
Ihr Lieblingsbuch? Da gibt es ein Buch, von einem amerikanischen Autor, der ist eigentlich Biologe. Der schrieb „Die Entwicklung des Menschen und der Gesellschaft“. Das Buch hat 1.000 Seiten und ist ein Grundlagenwerk über viele Dinge, die Mensch werden, Mensch sein, Mensch bleiben behandeln. Das Werk ist vergriffen, ich habe es aber zum Glück in meiner Bibliothek.
Ihre Lieblingsmusik? Die Sonate 960 in D-Dur von Schubert
Ihre Lieblings-Weinsorte? Nachdem ich gerade einen Sauvignon Blanc in der Hand habe – diesen mag ich sehr gern, aber wenn es um Chardonnay geht auch ein weißer Burgunder.
Der beste Wein aller Zeiten? 1966er Chateau la Fleur.