Woran denken Sie, wenn Sie einen Mann im Steireranzug sehen? An Tradition und konservative Werte? Oder jugendliche Hipster, die die steirische Tracht wieder für sich entdecken? Woran Sie vermutlich nicht denken, sind Aufrührer und Rebellen – und doch stand der Steireranzug einst genau für diese. Das ist die Geschichte des Steireranzuges über die Jahrhunderte.
Wie bereits in unserem illustrierten Guide zur echten Steirertracht erwähnt, entwickelte sich der beliebte und in ganz Österreich bekannte Steireranzug aus der grün-grauen Berufs- und Standestracht der obersteirischen Jäger. Eng verbunden ist der Lodenanzug mit Erzherzog Johann, der sich im frühen 19. Jahrhundert ganz bewusst und mit Begeisterung im Steireranzug zeigte. Er sah darin wohl auch ein politisches Statement und einen Ausdruck seiner Haltung zum österreichischen Volk. So schrieb er einst an Anna Plochl:
“Als ich den grauen Rock in der Steyermark einführte, geschah es um ein Beyspiel der Einfachheit in Sitte zu geben, so wie mein grauer Rock, so wurde mein Hauswesen, so mein Reden und Handeln. Das Beyspiel wirkte, der graue Rock, von manchen verkannt, von den Besseren erkannt, wurde ein Ehrenrock und ich ziehe ihn nie mehr aus […].”
So wurde der Steireranzug salonfähig und die geschmeichelten Steirer schätzten ihren “Steirischen Prinzen” nur noch mehr. Nachdem Erzherzog Johann in den Napoleonischen Kriegen in Tirol eingesetzt wurde, regte er dort die Tiroler Widerstandsbewegung des “Alpenbundes” zu einem Aufstand gegen Napoleon an. Die Verschwörung flog auf und der Erzherzog wurde von seinem Bruder Kaiser Franz I. aus Tirol verwiesen. In der Steiermark lernte er Anna Plochl kennen und erhielt die kaiserliche Erlaubnis zur Eheschließung. Ganz vertraute man dem Erzherzog allerdings nicht und ließ ihn polizeilich beobachten. Die Polizisten berichten 1822 nach Wien:
S. Kaiserliche Hoheit der Erzherzog Johann lebt im Bad Gastein im strengsten Incognito und er erscheint stets in der Kleidung eines steyrischen Landmannes. Auch speiset derselbe mittags an der gewöhnlichen table d’hote (bei Straubinger) und hat es sich ausbedungen, daß die übrigen Badegäste ihn nicht anders als jeden andern Badegast behandeln sollen.
Die Volksnähe, die Heirat mit einer Bürgerlichen und dann auch noch das Tragen des bodenständigen Steireranzugs, der seit der Alpenbundaffäre mit Aufrührern verbunden wurde – all das passte dem Kaiser gar nicht ins Konzept, der gerade neue Uniformen eingeführt hatte und klare Hierarchien durchsetzen wollte. So wurde die steirische Tracht prompt für Beamte und Lehrer verboten und sogar die Genehmigung der Heirat mit einer Bürgerlichen wurde dem Erzherzog wieder entzogen. Mit der Zeit beruhigte sich die Lage aber wieder: Sieben Jahre später durfte der Erzherzog seine Anna doch heiraten und der Steireranzug wurde salonfähig.
Im 20. Jahrhundert wurde der Lodenanzug in ganz Österreich gern getragen und war wie auch andere Trachtgewänder ein Zeichen des “völkischen Selbstbewusstseins” (“Was ziehe ich nach dem Kriege an?”, 1918), das die Distanz zu Engländern und Franzosen ausdrücken sollte. Die Tracht galt damals in der Steiermark aber nicht unbedingt als deutschnational, sondern wurde auch von slowenischen Steirern getragen. Zwischen 1933 und 1938 wurde der Steireranzug schließlich zum Symbol der Treue zum Dollfuß-Schuschnigg-Regime. Auch nach der NS-Zeit ließen sich die Steirer ihren traditionellen Anzug aber durch nichts trüben und noch heute wird der Steireranzug zu festlichen Anlässen und insbesondere Feierlichkeiten der Volkskultur wie dem Aufsteirern gerne getragen.