Genau heute vor 211 Jahren zog Hollands König nach Graz – es folgten eine stürmische Zeit, ein wehmutsvoller Abschied und viele Tonnen Zucker. Tauchen Sie ein in die bittersüße Geschichte von Louis Bonaparte und der Grazer Zuckerfabrik!
In diesem lächelnden Land, wo mein Schmerz nicht bekannt ist, träumte mein wandernder Geist von der süßesten Ruhe.”
Louis Bonaparte über Mariagrün1
Bei einem Spaziergang in der Nähe des Botanischen Gartens in Graz fallen sofort die vielen wunderschönen historischen Villen der Gegend auf – darunter nicht zuletzt die Villa Malwine am Areal des Botanischen Gartens (“Das eingemauerte Herz des Grazer Linguisten”). Ihr schräg gegenüber thront in der Herdergasse 3 dagegen ein Herrenhaus mit einer vollkommen anderen Geschichte: Die Bonaparte-Villa, die ihren Namen nicht von irgendwo her hat.
Am 17. August 1811 wurde sie nämlich samt umgebendem Areal von Louis Bonaparte erworben, dem Bruder Napoleons und früheren König Hollands. Das Grundstück, das ursprünglich der ungarischen Adelsfamilie Erdődy gehörte, war Teil eines großen Freigartens, das bis zur heutigen Volkschule am Rosenberggürtel und hinab zur Liebiggasse reichte.
Bonaparte undercover
Nach seiner Abdankung unter schwierigen Umständen wollte der ehemalige König in Graz allerdings nur Graf Ludwig von Saint Leu genannt werden – nach dem kleinen Dorf in Frankreich, wo er nach seiner Hochzeit mit seiner jungen Braut lebte bevor er den Thron bestieg und wo auch heute seine Knochen liegen. Ganz unbemerkt lebte Bonaparte allerdings nicht: Der österreichische Kaiser Franz I. gewährte ihm zwar Asyl, doch wurde Bonaparte in Graz von zwei Polizisten beschattet, deren Berichte wohl sogar vom Kaiser selbst gelesen wurden.
Bonaparte machte Bekanntschaft mit Goethe und verfasste in Graz seinen ersten Roman “Marie und die Qualen der Liebe”. Nach nur drei Jahren verkaufte Louis das Anwesen allerdings schon wieder; Österreich hatte Napoleon den Krieg erklärt und ein beunruhigter Louis verließ das Land. Über mehrere Besitzer wurde es 1826 von der neugegründeten “k. k. priviligierten Zuckerraffinerie in Graz” erworben, die die erste Dampfmaschine der Steiermark einsetzte. In den 1870ern produzierte die Fabrik ganze 11.000 Tonnen Zucker. Trotzdem wurde sie schon 1881 liquidiert.
Was heute noch bleibt
Heute lassen nur mehr einige eingestürzte Kellergewölbe und Mauerreste auf die ehemalige Zuckerfabrik schließen; sie ist wohl etwa ein Jahrzehnt später einem Brand zum Opfer gefallen. Sehr wohl findet sich aber auf dem selben Anwesen bis heute noch der 1797 erbaute Mozarttempel, das älteste Mozart-Denkmal der Welt, und das Herrschaftshaus, das heute den steirischen Naturschutzbund beherbergt. Und auch Louis Bonaparte hat seine Spuren hinterlassen: Bei seinem Lieblingsplätzchen gegenüber der Mariagrüner Kirche ist auf einem Steinobelisken ein französisches Gedicht eingegraben, dass der einstige König Hollands Graz zum wehmütigen Abschied hinterließ:
Abschied von Graz
Lebt wohl, ihr blühenden Gefilde,
Die oft mir meine Qual gestillt,
Mit Ruheträumen mir so milde,
Die wundervolle Brust gestillt!
Es läßt Natur uns Schätze schauen
Die oft wohl manches kaum erkennt,
Ihr schönen dufterfüllten Auen,
Bald bin ich von euch getrennt.
Die Stürme hör’ ich in den Lüften,
Des Kampfes Stimme droht mit Qual
Fort muß ich nun, ihr üpp’gen Triften
Lebt wohl, lebt wohl zum letzten Mal!
Ein anderes Asyl erstreben
Und suchen soll mein irrer Stern!
Jetzt, wo die Ruhe meinem Leben
gelächelt, bleibt der Hafen fern.
Doch nichts ist hier von fester Dauer
In dieser wechselvollen Welt,
Und auf den Frohsinn folget Trauer
Der Mensch und auch sein Glück zerfällt.
Ihr Bäume, meiner Pfleg’ entnommen
Möget Kühle spendend ihr besteh’n
wenn andere Verbannte kommen
in eurem Schatten sich ergeh’n.
Vereinzelt, ohne Hoffnungsschimmer
Verfolg ich blindlings meine Bahn,
Jedoch verzagen will ich nimmer
Der Vorsehung gehör’ ich an.
Durchschiffend wunderbare Räume
Schwebt stets die Erd’ und ihr Geschick –
Und führt die Menschen wie durch Träume
in ihren Schoß zuletzt zurück.
Leb’ wohl, du Stadt, die ich ersehnte,
Wo meinen Schmerz ich überwand,
Und wo ich nun zu finden wähnte
Verlor’ne Freunde – Vaterland.
Nun fort! – Soll Furcht in mir sich regen?
Der feste Glaube bleibet mir:
Die Vorsicht wacht auf unseren Wegen –
Und mit Vertrauen folg ich ihr.
(Übersetzt von Karl Braun von Braunenthal)
1 Zitat aus “In Maria Grün. Idylle für Pianoforte. 41.tes Werk” von Johann Kafka (übersetzt aus dem Französischen)